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Sunahla Sthioul
Hier findest du Texte und Inspirationen von mir zu unterschiedlichen Themen. Ich freue mich, wenn dich meine Gedanken interessieren. Gerne kannst du mir auch ein Feedback per Mail geben.
25.11.2024 Heilung durch Beziehung: Bindungstrauma und Bindungswunden in der Komplementärtherapie
In der Komplementärtherapie steht der Mensch als ganzheitliches Wesen im Mittelpunkt, dessen Körper, Geist und Seele untrennbar miteinander verbunden sind. Gerade in diesem Rahmen zeigt sich, wie tiefgreifend frühkindliche Bindungserfahrungen – seien es Bindungstraumata oder Bindungswunden – das Leben eines Menschen prägen können. Diese oft unbewussten Verletzungen manifestieren sich nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch in der therapeutischen Dynamik durch Übertragung und Gegenübertragung. Die Komplementärtherapie bietet jedoch einen einzigartigen Raum, in dem durch achtsame Beziehungsgestaltung und körperorientierte Ansätze alte Wunden heilen und neue Bindungserfahrungen entstehen können.
Definitionen
Ein Bindungstrauma entsteht durch wiederholte oder extreme Störungen in der frühkindlichen Bindung. Dazu zählen Vernachlässigung, Missbrauch oder emotionale Abwesenheit von Bezugspersonen. Diese Erlebnisse prägen das Nervensystem und führen zu tiefgreifenden Überlebensstrategien wie Vermeidung, Erstarrung oder emotionaler Abkopplung. Bindungstrauma ist oft mit einer dysfunktionalen Regulation von Emotionen und Beziehungen verbunden.
Eine Bindungswunde hingegen ist weniger schwerwiegend, aber nicht weniger bedeutsam. Sie resultiert aus spezifischen Erlebnissen, die eine Person emotional verletzen, wie Ablehnung oder Verlust. Während ein Bindungstrauma oft chronischer Natur ist, sind Bindungswunden meist punktuell und können im Erwachsenenalter bewusster verarbeitet werden. Dennoch haben auch sie das Potenzial, in Beziehungen als Trigger zu wirken.
Auswirkungen auf Übertragung und Gegenübertragung in der Komplementärtherapie
Übertragung
In der Therapie bringt der Klient oft unbewusste Muster aus seinen frühen Bindungserfahrungen mit. Bei einem Bindungstrauma kann dies z.B. bedeuten, dass der Klient:
- Misstrauen gegenüber der Therapeutin hat, da frühere Bezugspersonen nicht zuverlässig waren.
- Abhängigkeit oder idealisierte Vorstellungen entwickelt, weil ein tiefes Bedürfnis nach Sicherheit und Nähe besteht.
- Abwehrmechanismen wie Vermeidung oder Aggression zeigt, um sich vor erneuten Verletzungen zu schützen.
Bei Bindungswunden könnten sich in der Übertragung eher spezifische Themen zeigen, wie:
- Angst vor Ablehnung oder das Gefühl, nicht wichtig genug zu sein.
- Sehnsucht nach Verständnis, die auf einzelne verletzende Erlebnisse zurückgeht.
Gegenübertragung
Auf der Seite der Therapeutin können diese Übertragungsmuster intensive Gegenübertragungen auslösen. Bei Bindungstrauma könnten Gefühle von Ohnmacht, Überforderung oder sogar Ablehnung entstehen, da die tiefe emotionale Not des Klienten eine starke Resonanz erzeugt.
Bindungswunden hingegen können leichter zu einer „rettenden“ oder „tröstenden“ Haltung führen, da die Verletzung oft klarer wahrnehmbar und begrenzter ist.
Die Herausforderung besteht darin, sich dieser Dynamiken bewusst zu sein und sie für den therapeutischen Prozess zu nutzen, ohne in eigene Muster oder Rollen (z. B. die „rettende Mutter“) zu geraten.
Heilung durch Beziehungsgestaltung in der Komplementärtherapie
Die Beziehungsgestaltung ist ein zentraler Heilungsweg in der Komplementärtherapie, insbesondere bei Bindungsthemen. Das Ziel ist es, eine neue, korrigierende Beziehungserfahrung zu schaffen, die Sicherheit, Akzeptanz und Wachstum ermöglicht.
Spezifische Ansätze in der Komplementärtherapie
Präsenz und Regulierung
Die Therapeutin bietet einen sicheren Raum, in dem der Klient schrittweise lernen kann, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, ohne überfordert zu werden.
Methoden wie Atemarbeit, Körpertherapie oder Meditation können helfen, das Nervensystem zu beruhigen und eine innere Sicherheit zu fördern.
Spiegelung und Empathie
Bindungswunden und -trauma werden oft durch mangelnde Resonanz in der frühen Kindheit verstärkt. Eine achtsame Spiegelung der Gefühle des Klienten hilft, eine tiefe emotionale Verbindung aufzubauen und das Erleben zu validieren.
Reparatur von Beziehungsbrüchen
In der Therapie können auch kleinere Beziehungsbrüche auftreten, etwa wenn die Therapeutin ein Bedürfnis des Klienten nicht erkennt. Das bewusste Ansprechen und gemeinsame Verarbeiten solcher Brüche bietet die Möglichkeit, neue Bindungserfahrungen zu machen.
Förderung von Selbstwirksamkeit
Besonders bei Bindungstrauma ist es wichtig, dass der Klient lernt, sich selbst zu regulieren und seine Ressourcen wahrzunehmen. Hier können körperorientierte Techniken oder kreative Methoden unterstützen, um eine stärkere Verbindung zum eigenen Selbst aufzubauen.
Der transformative Aspekt der Beziehung
In der Komplementärtherapie wird die Beziehung zwischen Klient und Therapeutin zum zentralen Heilungsinstrument. Durch die Erfahrung einer stabilen, nicht wertenden Beziehung können alte Muster aufgelöst und neue, positive Bindungserfahrungen gemacht werden. Diese „korrigierende emotionale Erfahrung“ ist besonders kraftvoll, da sie direkt das Bindungssystem anspricht und neuronale Veränderungen ermöglicht.
Praktische Beispiele
Ein Klient mit Bindungstrauma erlebt zum ersten Mal, dass seine Angst in einer therapeutischen Beziehung gehalten werden kann, ohne dass er abgewertet wird.
Eine Klientin mit Bindungswunden spürt, dass ihre Bedürfnisse wichtig sind, indem die Therapeutin achtsam auf subtile Signale eingeht.
Durch die Wiederherstellung eines gesunden Bindungserlebens wird Heilung möglich. Die Integration dieser Erfahrungen in den Alltag fördert tiefere Selbstakzeptanz, Beziehungsfähigkeit und Lebensfreude.
Fazit
Bindungstrauma und Bindungswunden unterscheiden sich in Schweregrad und Ursprung, doch beide hinterlassen tiefe Spuren im Bindungssystem eines Menschen. Die Komplementärtherapie bietet durch ihre Beziehungsgestaltung, ihre körper- und ressourcenorientierten Ansätze und die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung eine einzigartige Möglichkeit, diese Wunden zu heilen. Entscheidend ist die Fähigkeit der Therapeutin, mit Präsenz, Empathie und Klarheit einen Raum zu schaffen, in dem sich der Klient sicher fühlen und alte Muster transformieren kann.
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24.09.2023
Ressourcen fördern und Resilienz stärken
Der Begriff Resilienz kommt aus dem lateinischen Wort Resilire und heisst abprallen oder zurückspringen.
Mit Resilienz ist die psychische Widerstandskraft gemeint. Die Kraft bei sich zu bleiben und Unerwünschtes von sich „abprallen „zu lassen. Die Kraft zu filtern und zu priorisieren. Resilienz ist die Fähigkeit Krisen zu bewältigen, auf persönliche oder andere Ressourcen zurückzugreifen und Schwierigkeiten als Anlass zur persönlichen Entwicklung nutzen zu können.
Eine gute Resilienz ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe eines Lebens erlernt.
Je nach Biographie und Familiengeschichte sind wir bereits mit unterschiedlichen Ressourcen und entsprechender Resilienz ausgerüstet.
Wenn wir nicht über genügend Resilienz verfügen, kann es sein, dass wir unter mangelnder Widerstandskraft leiden und uns psychisch ausgelaugt fühlen.
Die gute Nachricht: Resilienz ist lernbar und Ressourcen können gestärkt werden.
Genau hier setzt die Polarity Therapie an.
Polarity stärkt die Selbstregulierungskräfte, macht die Selbstwirksamkeit erlebbar, fördert das Selbstvertrauen, die Selbstliebe, unterstützt die Fähigkeit stabile Bindungen einzugehen und hilft eine ressourcen- und lösungsorientierte, lebensbejahende Einstellung zu entwickeln.
Diese Faktoren sind es denn auch, die für eine gut funktionierende Resilienz wichtig sind.
Eine Polarity Therapie Sequenz beginnt in der Regel mit einer eingehenden Befundaufnahme. Neben biographischen und medizinischen Vorkommnissen erkundigt sich der Polarity Therapeut auch nach vorhandenen Ressourcen.
Ressourcen sind all das, was uns Freude macht, was uns stärkt, was uns ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, uns innerlich berührt, uns entspannt, uns zentriert und inspiriert.
Als Therapeuten erleben wir immer wieder Klienten, die ihre Ressourcen kaum benennen können und ihren Fokus eher auf das gerichtet haben, was in ihrem Leben gerade nicht funktioniert. Oft sind diese Klienten in Gedankenschlaufen gefangen, die ihre negativen Gefühle verstärken.
Körperzentrierte Berührungs-, Atem- und Energiearbeit unterstützt die Selbstwahrnehmung und kann hier Abhilfe schaffen.
Ein Beispiel auf der Praxis
Der 45-jährige Mittelschullehrer und Familienvater kommt in die Praxis, weil ihm einfach seit längerer Zeit nichts mehr Freude macht. Er leidet an häufigen Erkältungen, Rückenschmerzen und Erschöpfung.
Dieser Zustand dauert bereits mehrere Jahre und auf die Frage nach seinen „Ressourcen“ fällt ihm spontan nichts ein. Ich hake in diesem Moment nicht nach und lade ihn nach der Befundaufnahme ein, sich auf die Behandlungsliege zu legen.
Bei der Körperarbeit kann er sich entspannen und loslassen. Dies äussert sich unter anderem darin, dass Tränen fliessen. Mittels verbaler Prozessbegleitung erfahre ich, dass er sich trotz der andauernden Erschöpfung schon lange nicht mehr tief entspannen konnte. Die einleitenden Worte mit der Einladung loslassen zu dürfen, haben ihn sehr berührt.
Auf die Frage, wo es sich denn im Moment im Körper besonders gut anfühlt, gibt er an, dass sich die Arme entspannt und leicht anfühlen. Ich frage ihn, ob er sich an ein vergleichsweises ähnliches Empfinden erinnert. Es fällt ihm ein, dass er früher regelmässig schwimmen war und sich dann danach immer noch ein wenig im Wasser hat treiben lassen.
Aufgrund seiner Verpflichtungen hatte er vor mehreren Jahren mit diesem Sport aufgehört.
In den folgenden Sitzungen lernte der Klient wie wichtig es ist, gut auf sich zu schauen und sich Zeit für sich selber zu nehmen. Es kamen noch mehrere „Ressourcen“ hinzu: Zeichnen, kochen und in der Natur spazieren. Das bewusste Wahrnehmen seiner Gefühle und die Verbesserung seiner Körperwahrnehmung unterstützten ihn darin, seine Resilienz entscheidend zu stärken: Rückenschmerzen verschwanden, Erkältungen wurden weniger und er führt heute ein wesentlich selbstbestimmteres, glücklicheres Leben.
In dem er besser auf seine Bedürfnisse achtet, hat sich letztlich auch das Zusammenleben mit der Familie verbessert und er fühlt sich im Kollegium wieder wohler.
Diese Geschichte ist nur eine von vielen Praxisbeispielen in denen sichtbar wird, wie verbesserte Selbstwahrnehmung und bewusste Wahrnehmung der eigenen Ressourcen die Resilienz entscheidend und langfristig stärken kann.